Dietrich Bonhoeffer: Stationen auf dem Weg zur Freiheit

ZUCHT.

Ziehst Du aus, die Freiheit zu suchen,
so lerne vor allem Zucht der Sinne und Deiner Seele,
dass die Begierden und Deine Glieder Dich nicht bald hierhin,
bald dorthin führen.
Keusch sei Dein Geist und Dein Leib, gänzlich Dir selbst unterworfen
und gehorsam, das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist.
Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.
 
TAT.
Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen,
nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen,
nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.
Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens,
nur von Gottes Gebot und Deinem Glauben getragen
und die Freiheit wird Deinen Geist jauchzend umfangen.
 
LEIDEN.
Wunderbare Verwandlung. Die starken tätigen Hände sind Dir gebunden.
Ohnmächtig einsam siehst Du das Ende Deiner Tat.
Doch atmest Du auf und legst das Rechte still und getrost in stärkere Hände
und gibst Dich zufrieden.
Nur einen Augenblick berührtest Du selig die Freiheit,
dann übergabst Du sie GOTT, damit ER sie herrlich vollende.
 
TOD.
Komm nun, höchstes Fest auf dem Weg zur ewigen Freiheit. 
Tod, leg nieder beschwerliche Ketten
und Mauern unseres vergänglichen Leibes
und unserer verblendeten Seele,
dass wir endlich erblicken, was hier uns zu sehen missgönnt ist.
 
FREIHEIT.
Dich suchten wir lange in Zucht und in Tat und in Leiden.
Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.
 
 
Stationen auf dem Weg zur Freiheit
 
Dietrich Bonhoeffer (*04.02.1906 09.04.1945)
 
Verfasst am 21. Juli 1944, einen Tag nach dem fehlgeschlagenem Attentat auf Hitler